Paul Heimbach, Oeuvre
Von einer Handschrift zu sprechen wäre hier vielleicht zynisch, von Markenzeichen angesichts der Vielfalt der Werkgruppen aber wohl zu blaß. Denn die Arbeiten seit 1960 entstanden in der Tat nicht mit Gerätschaften, die traditionellerweise ein Graphiker oder ein Maler zur Herstellung ihrer Arbeiten anwendet, um damit Handschrift mittelbar zur Geltung zu bringen: dem Stift oder dem Pinsel. Bevor er noch den Computer als sein Produktionsmittel einsetzte, entdeckte Paul Heimbach eine an sich alte handwerkliche Technik für seine gestalterischen Zwecke. Zur gezielten farbigen Dekoration des zwischen der Innenseite des Einbanddeckel und der Titelseite eingeklebten Blattes wurde von Buchbindern in eine dünnflüssige Leimlösung eine bestimmte Auswahl an Farbpigmenten eingeträufelt und vorsichtig so verrührt, daß Farbschlieren in unregelmäßigen, ornamentalen Schlingen-Spuren sich abzeichneten. Das Blatt Papier wurde nunmehr auf die Oberfläche dieser zähen Flüssigkeit gelegt. Dabei saugt es mit der Feuchtigkeit zugleich die vorgegebenen Farbschlieren auf. Nach dem Trocknen wies es dann jenes typische Gestaltungsmerkmal auf, das wir heute noch beim Aufschlagen bestimmter Bücher, vorzüglich des 18. und 19. Jahrhunderts, auf der Innenseite der Einbände antreffen. Erste Experimente mit der schwarzen KunstHeimbach beschränkte von Anfang an die Mittel. Lediglich schwarze Tusche auf klares Wasser geträufelt nutzte er, um damit in dieser Technik Graphiken („Tuschebilder“) gleichsam entstehen zu lassen. Sie zeichnen sich durch eine subtile Abstufung von Grauwerten aus, die sich auf anderen Wegen kaum hätten realisieren lassen. Mit diesen Abstufungen von Grautönen kamen graphische Blätter zustande, deren zarte abstrakte Strukturen aus unterschiedlichen Schichtungen in ihrer Anmutung wie Wolkenphantasien oder impressionistischen Skizzen erscheinen. 1967, Buch Nr. 1, DIN A3, 50 Blatt, beidseitig Tusche auf Offset-Karton / 50 sheets, reciprocally india ink on offset cardboard Die assoziative Qualität von Bildlichkeit blieb indessen nur eine Seite dessen, was des Künstlers Aufmerksamkeit an dieser Technik lockte. Eine andere war ihre manipulierbare Struktur. Daß sich dabei eine weitere Differenzierung erreichen ließ, indem bestimmte Partien des Blattes zuvor angefeuchtet wurden - und damit den transparenten Farbton nicht mehr aufnehmen konnten - sei hier nur nebenbei angemerkt. Und in der Tat beziehen sich fast alle Äußerungen Heimbachs selber auf diesen Aspekt dieser Arbeiten. Die Frage war: Läßt sich eine Systematik ausfindig machen, mit der sich gezielt, ja nachgerade berechenbar die Ergebnisse als optische Valeurs austesten und umsetzen ließen. So entstanden thematisch gegliederte regelrechte Versuchsreihen. Und Farbe kam hinzu.Das System hat er in eigenen Texten erläutert, deshalb kann ich mich eines weiteren Kommentars dazu enthalten. Was mich daran interessiert ist die Folge, die der Betrachter seiner Bilder wahrnimmt. Es ist eine bekannte Erscheinung, daß jeder Maler eine spezifische „Palette“ bevorzugt. Er nutzte aus einer Vielzahl möglicher Farbnuancierungen nur einen spezifischen Ausschnitt, die seinem Temperament entgegenkam. Letztlich ist aber auch das „Temperament“ keine befriedigende Begründung für diese individualtypische Vorzugswahl. Als Betrachter merkt man sich diese aber und erkennt Werke dieses oder jenes Malers häufig schon an dieser charakteristischen Farbwahl.
Als gelernter Drucker und Graphiker reizte es Heimbach offensichtlich, sich
gleichsam in seiner Phantasie zwischen die Nuancen dieser Schichtungen einzufühlen, als
er begann, mit Filzstiften auf Blattfolgen aus Transparentpapier Farbstreifen
unterschiedlicher Ausformung zu zeichnen. Damit gab er dem Betrachter eine neue
Möglichkeit an die Hand ihm bei diesen Experimenten zu folgen. Beim Übereinanderlegen
dieser jeweils nacheinander leicht gegeneinander versetzten Streifen ließen sich die
Folgen dieser Additionen der Farbtöne beobachten. Damit hatte er eine sehr handfeste,
praktische Analyse einer alten Maltechnik erlangt. Jede mit einem Text bedruckte Seite hat auch eine nicht intendierte graphische Struktur. Sie läßt sich sehen, wenn man den Text nicht liest, sondern nurmehr die weißen Zwischenräume zwischen den Wörtern und den Zeilen verfolgt. Das ist eine vertraute Kindheitserfahrung, die man machte, wenn das Auge ermüdete oder absichtlich auf „unscharf“ eingestellt wurde, um weiterhin aufmerksam den gedruckten Worten folgen zu können. Eine zweite Ebene dieser Art der Wahrnehmung ist, wenn man der scheinbaren Zufälligkeit der Verteilung von gleichen Buchstaben auf der Seite folgt und diese jeweils auf einem Blatt isoliert. Durch Übereinanderlegen von mehreren Seiten erst lassen sich dann wieder einzelne Wörter erkennen bis hin zu ganzen Satzteilen, Sätzen und schließlich auch wieder der gesamte Text erfassen. Immer ergeben sich daraus unvorhersehbare Varianten optisch differenzierter graphischer Strukturen, deren labyrinthischer Charakter natürlichen Gewächsen vergleichbar erscheint, besonders wenn man diese gegen den Zeilenverlauf liest. Erste Experimente mit FarbenHeimbachs Aufmerksamkeit wurde bei der Anwendung von Farbstiften auf die Auswahl der Grundfarben gelenkt und wiederum durch eine praktische Vorgabe geleitet. Als er begann sich mit dem Computer einzulassen, gab es dort in den einschlägigen Graphikprogrammen zwei Vorgaben: Eine war die der additiven Mischung von farbigem Licht aus den drei Primärfarben Rot, Grün und Blau (RGB), so wie sie jeder Bildschirm wiedergibt. Ein zweiter Wert ist die Intensitätsstufe. Da es beim Transparentpapier sich aber nicht um einen Absorbtionsprozess handelt, war die Entscheidung für die drei Grundfarben naheliegend einfach. Zugleich gab die Computertechnik der Erzeugung von Farben eine auf Zahlen gestützte Handhabung der Zusammensetzung jeweiliger Anteile an Farbtönen vor. Diese reizte nun weiter zu Spekulationen und Experimenten mit einfachen Materialien und deren Handhabungen. Das Experiment betrifft eine Qualität des menschlichen Auges, oder genauer: unserer Unterscheidungsfähigkeit von Farbtönen, die etwa zur Zeit der Tafelmalerei oder auch nach Erfindung der Farbfotografie nicht näher quantifizierbar geblieben war. Es bedurfte dabei des langjährig geübten Auges eines Farbenhändlers, Pigmenteproduzenten oder ähnlicher Qualifikationen, um gewünschte Abtönungen zu erreichen. Wenn man in Betracht zieht, daß schon die ersten Farbbildschirme von Computern nach zunächst nur 4 (im Graphik-Modus auf CGA-Monitoren), dann 2 x 8 = 16 Farben, schließlich sogar 256 unterschiedliche Farbtöne (bei 8 bit pro Bildpunkt) darzustellen vermochten, dann ließ sich bereits mit dieser Anzahl eine gehörige Menge von unterschiedlichsten Tonabstufungen (ohne die Variable des Weiß- oder Luminanzanteils) herauslösen und nunmehr präzise konstruieren. 1992 schaffte er sich den ersten Computer an, teure Graphikkarten (bis zu 600,- DM) folgten. Mit Fractint und Animator, aber auch nur mit Excel tippte er die ersten Palettenmutationen noch einzeln über die Tastatur ein, die er auf 64 Farben beschränkte. Mit diesen Hilfsmitteln enstand ein erstes Buch mit dem Titel »Von zwei Quadraten«. 256 Farben hätte er zur Auswahl gehabt, als er sich daran machte das Buch mit dem Titel »Colorcycling« zu produzieren. Noch andere Entscheidungen fielen, trotz Scanner und Digitalkamera, die inzwischen dann zum Einsatz kamen. Die inzwischen erreichte Erweiterung bis auf 16 Millionen Farbnuancen überstieg jede durchschnittliche menschliche Diskriminationsfähigkeit, erlaubte aber die genormte Wahl zwischen vier verschiedenen Farbsystemen und Farbräumen und erst Recht von länderspezifischen Kodierungssystemen. Er entschied sich für das gif-Format und die damit möglichen 256 Farbstufen. Das war eindeutig, beherrschbar, blieb übersichtlich und dennoch tausenfältig variabel. 1992, Colorcycling II, 256 Blatt DIN A4, Laserdruck auf Transparentpapier Dieses mögliche Spiel mit der Koordination von binären oder hexadezimalen Zahlenwerten und den zugewiesenen Farbabstufungen brachte Heimbach auf ein für ihn handhabbares Verfahren. Er beschränkte sich für seine Absichten auf die drei Grundfarben Rot, Gelb und Blau, die er - mit Tusche ausgeführt für freiere Kompositionen oder mit Bildbearbeitungsprogrammen auf dem Bildschirm für den Druck - jede für sich auf eine transparente Maske auftrug. Nun brauchte er im nächsten Schritt nur noch eine geeignete Unterteilung dieser Masken in eine bestimmte Anzahl von gleichmäßigen Feldern. Diese konnte er durch ein bestimmtes Kalkül so verteilen, daß ihre Übereinanderblendung jeweils Additionen genau kalkulierter - und damit auch nachvollziehbarer - Farbkombinationen für den Betrachter zum Vorschein brachte. Eine der ästhetischen Qualitäten dieses Verfahrens ist aber gewiss die Unvorhersehbarkeit des Eindrucks für das Auge des Betrachters. Bei der Suche nach einem geeigneten Verteilungsverfahren stieß er auf die sogenannten Magischen Quadrate. Sie zeichnen sich dadurch aus, daß jedem Feld im Quadrat ein bestimmter Zahlenwert so zugeordnet ist, daß sich beim Zusammenzählen dieser Zahlen in den verschiedensten horizontalen, vertikalen oder diagonalen Richtungen immer eine gleiche Summe ergiebt. Ersetzte er jede dieser Zahlen durch einen von ihm bestimmt angemischten Farbton, dann blieb sein System überschaubar und damit eindeutig berechenbar. Die Vielfalt der Kombinationsmöglichkeiten erschloss zugleich eine unbegrenzte Anzahl von Wahlmöglichkeiten. Von denen fielen einige optisch signifikant, andere dagegen eher unergiebig, also langweilig aus. Da mussten Entscheidungen zur Beschränkung getroffen werden: sein künstlerisch-ästhetisches Entscheidungsvermögen war gefordert. Ökonomischer Zwang und reale Machbarkeit paarten sich wie in jedem Gewerbe so auch hier, wo angeblich alles der freien Entscheidung anheim gestellt bleibt und grenzenlose Willkür vorherrschen könnte. Der eigentliche künstlerische Akt bestand also darin, auf eine bestimmte Auswahl zu setzen und die in ihr verborgenen ästhetischen Qualitäten ans Licht zu bringen. Daher war es nur konsequent für ihn sich auf Serien zu verlegen. Diese bestanden aus einer unterschiedlichen Anzahl von solchen - meist quadratischen - farbigen Rastern unterschiedlicher Größen und auch unterschiedlicher Binnenformen - als Kreis, als Streifen, als Quadrat u.a. Sie konnten auf Abfolgen beliebig kleiner Anzahl beschränkt (3 x 3) oder aber auch zu wandfüllenden Folgen ausgedehnt werden. Überschaubarkeit - eine sehr subjektive Dimension menschlicher Aufnahmefähigkeit - wurde zur zweiten ästhetischen Dimension. Franklin-Quadrat, (1767): Grautöne/Franklin-Quadrat (1767): R,G, B, Spiegelung um 90° gedreht Die daraus ableitbaren Varianten erschließen sich in ihrer Vielfalt aus dem vorgelegten Oeuvre. Eine der rigorosesten Lösungen ist zweifelsohne das eindrucksvolle Experimentierobjekt des Farbwürfels. Allein die Vielzahl der Perspektiven auf ihn - und damit die wechselnden Blicke auf und durch die transparenten monochromen Außenseiten - bringen hier ebenso wie in dem monumentalen Objekt (Grundfarben, 2003) auf recht spielerische Weise jedem Betrachter nahe, was sein Auge leisten kann. Eine ganz andere Monumentalität erreichte Heimbach bereits 1985/86 mit den 144 Blatt der „Fuge“. Mühelose Anschaulichkeit, die gleichsam nebenbei sich repetierlich selbst herstellt, wird im Farbzeiger (2000) vorgeführt, wobei durch die Zuweisung einer bestimmten Farbkombination zu je einer Tages- oder Nachtzeit (24 Uhr = Grauwerte bis Schwarz, 6 Uhr = Blau/Rot) zugleich den Mehrwert einer weiteren, durchaus vertrauten farb-semantischen Dimension zu erschließen vermag. Dabei sollte klar bleiben, daß Heimbach sich nie explizit zur Symbolik des Farbkreises, wie es etwa seit der Romantik üblich geworden war, geäußert hat, noch etwa selber ein solches Zuweisungsverfahren angestrebt hätte. Dennoch bleiben seine Arbeiten nicht auf die physikalisch-optischen Impressionen eingeschränkt. Der poetische Reiz seiner Blattfolgen in Büchern, gerahmten Serien, Objekten, Skulpturen, Kästen geht ob der unterschiedlichen graphischen Valeurs gerade darüber hinaus. Das ist neben der beschränkenden Auswahl aus der unübersehbaren Vielfalt möglicher alternativer Varianten einer der nun eminenten ästhetischen Reize seiner Produkte. Es ist eben doch die sichtbar gemachte Handschrift des Künstlers - hier indessen in mehr als einem metaphorischen Sinne -, die jedes einzelne Stück zu einem genuinen Kunstwerk werden läßt. Peter Gerlach, Köln im Februar 2005 |