Sehr verehrte Damen und Herren,

Ich begrüße Sie hier im artotel zur Ausstellung „Basisfarben“ von Paul Heimbach
im Rahmen des Projekts ArtCube.

Basisfarben - der Titel der Einladung klingt zunächst ungefähr so verlockend wie eine Einbestellung zum Malabend in der Volkshochschule. Beim zweiten Blick auf den abgebildeten Würfel stellt sich vielleicht eine vage Erinnerung ein an den Physikunterricht und das Dunkel des Vorführraums, in dem die Farbtheorie erläutert wurde.

Es bedarf langsamer Bewegung vor den transluziden Raumebenen der Stelen und des Innehaltens vor den sequentiellen Farbvarianten, erst dann erahnt man eines der vielleicht größten Wunder, die der Mensch wahrzunehmen imstande ist.
Farben sehen, Farben empfinden, Farben verwenden. Jahrtausende alt ist die Erfahrung, dass durch Mischen unterschiedlicher, noch grober und meist erdiger Naturstoffe bereits eine Vielzahl von Farbtönen zu erzielen ist, nützlich zur Darstellung auf Höhlenwänden, Keramik oder frühen Fresken.
Die Geschichte der modernen, der medialen Kunst aber beginnt mit den aus Mineralien, Pflanzen, auch aus besonderen tierischen Organismen oder alchemistischer Ingredienz gewonnenen, feinst gemahlenen Pigmenten, die man auflösen konnte in transparenten Bindemitteln wie der so genannten Ölfarbe, die z.B. ein Jan van Eyck in Flandern im 14. Jhdt. für seine Tafelbilder benutzte.
Je reiner diese Pigmente waren, desto kontrollierter ließen sie sich mischen, und desto teurer waren sie - am kostbarsten war, gewonnen aus dem Halbedelstein Lapislazuli, die Basisfarbe Blau. Sie war magisch aufgeladen, sie färbte den Mantel der Madonna oder später die blaue Blume als Inbegriff der Romantik.
Es war aber eines der größten und lange unentdeckten Geheimnisse der frühen Meister, dass sie manchmal die reinen Grundfarben eben nicht physisch mischten, sondern über hellem Grund in vielen, dünnsten und abgestuft lasierenden Schichten so lange übereinander legten, bis die Farben in allerfeinsten Nuancen aus sich heraus im Auge des Betrachters in ihrem ganzen Spektrum leuchteten und der Raum sich füllte.
Dieses Prinzip der Farbaddition mag einer der Maler der mittelalterlichen Kirchenfenster bemerkt haben, als er zwei bunte Scherben übereinander legte und das Licht hindurch fiel.

Die Phänomene der Farbmischung und ihrer Reihungen und Abstufungen beschäftigten seitdem nicht nur die Malerei, sondern in ihren erstaunlichen Analogien auch Mystiker, Musiker und Mathematiker. Dass zur Erreichung aller Farbtöne allein die richtige Mischung der drei Basisfarben Rot, Gelb und Blau ausreicht, wurde erst seit dem 18. Jahrhundert systematisch experimentell und im 19. Jahrhundert physikalisch und kunstphilosophisch beschrieben. Goethes Farbenlehre ist das wohl bekannteste Beispiel für zahllose derartige Theorien an der Schwelle zum technischen Zeitalter. Die Farbaddition aber ließ sich ansatzweise erst mit der Wellentheorie des Lichtes verstehen, und das eigentliche Wunder blieb.
Denn bis heute bleibt es letztlich rätselhaft, wie unsere eigene Wahrnehmung uns die Gewissheit gibt, blau und gelb virtuell übereinander gespiegelt wäre ein reales Grün – und das in tausenden von Varianten, die unterschiedlichste Stimmungen auslösen. Und wer sagt uns, dass die Empfindung hierfür nicht letztlich eine Konvention ist, also jeder dort etwas anderes sieht und empfindet, wofür z.B. „lindgrün“ zu sagen sich eingebürgert hat?
Die luzide, räumliche Transparenz des Phänomens ist seltsam und anrührend; lange Zeit war es daher auch die Kunst feinster Reproduktion, auch das Verfahren der Farbaddition durch zahlreiche Druckgänge kompliziert und teuer nachzuahmen.
Paradoxerweise ist es aber gerade auch die Unvollkommenheit unseres Sinnesorgans Auge, die den Unterschied zwischen Farbmischung und Farbaddition wieder mehr und mehr verdeckt und die heutige massenhafte, technisch-kommerzielle Anwendung der Farbgebung ermöglicht.
Jeder Computer von ALDI hat mittlerweile angeblich mindestens 16 Millionen Farben, jeder Bildschirm und jedes bunte Großwerbeplakat einige Millionen Pixel. Nur ist jedes davon eben tatsächlich nur Rot, Blau oder Gelb und einfach so klein, dass das Auge in einiger Entfernung sie nicht trennen kann, also quasi aus Unvermögen mischt. Das hat etwa die Qualität von Höhlenmalerei im Hightech-Zeitalter.
„Who’s afraid of Red, Yellow or Blue“ – Wer hat Angst vor Rot, Gelb oder Blau – der Titel von Barnett Newmans epochalem Bild von 1965, dessen letzte Version in der Berliner Neuen Nationalgalerie hängt, fasst das Paradigma anschaulich zusammen und führte zu wütenden Protesten. Die Boulevardpresse sprach vom „Werk eines Anstreicherlehrlings“, es kam zu physischen Attacken. Aber war das auch, wie damals oft postuliert, das Ende der Malerei? Wohl kaum. Eher ihre Essenz.

Es ist eine erstaunliche Erfahrung und hat eine starke sinnliche Prägnanz, wenn mit dieser Ausstellung der „Basisfarben“ praktisch abschließend und vollständig, gleichzeitig melancholisch und fast mönchisch in stetiger, minimalistischer Skalierung und Abwandlung ein Hauptkapitel der Kunst, ihrer Wahrnehmung und philosophischen Deutung noch einmal aufgeblättert und präsent wird.
Paul Heimbach hat dieses Thema in den letzten Jahrzehnten wohl wie kein zweiter zeitgenössischer Künstler erkundet und verfolgt. Diese Experimente umfassten nicht nur alle denkbaren Formen der Mischung und Addition, der Anordnung, Abstufung und Tonwerte, sie verfolgten in Zusammenarbeit mit anderen Künstlern wie z.B. Chris Newman auch die Grenzübertritte zur Musik oder zur Poesie, also die Synästhesie: Wer Augen hat, der höre, wer Ohren hat, der sehe.
Noch ein Wort zum „Art Cube“ von Hans Peter Trauschke: Ich sehe in diesen nüchternen Würfeln, die in den Raum gestellt plötzlich Kunstraum schaffen, ein glänzendes und verblüffend schlagkräftiges künstlerisches Konzept zur Wieder-Eroberung der Wahrnehmung von Kunst in der Öffentlichkeit.

Hans Peter Trauschke greift damit als Künstler ein und gibt zugleich Platz – so wie hier für die „Basisfarben“ von Peter Heimbach. Dieses Konzept, auf Zellteilung, systematische Vervielfältigung und Eroberung angelegt, markiert zugleich Orte, an denen Kunst möglich wird. In Potsdam sind das noch eher wenige, wie hier am artotel, hoffentlich und vielleicht bald ein paar mehr.
Ich wünsche uns, dass diese Zellen virulent und in Verbindung bleiben, dass sie weiter wachsen und sich füllen.
Die Ausstellung ist eröffnet, ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.

12.4.2003, Martin Schmidt-Roßleben