Kunst Köln Kölner Skizzen   Kurzportrait   März 1988
Tuschebilder - Zahlenspiel und Zufall
Paul Heimbachs Farbentransparenz
von Peter Gerlach

Paul Heimbach - Jahrgang 1946 - ist durch seine konsequent verfolgten Arbeiten an zarttönigen Tuschebilder bekannt geworden. Unerschöpflich bleibt das freie Spiel seiner Phantasie, indes findet sich in seinem Werke nichts von ostasiatisch inspiriertem Tachismus,wie das Material es nahelegen könnte. Er nutzte ganz andere Eigenschaften dieses Materials. So entstanden nacheinander schwarze Tuschebilder, farbige Folgen in Transparentbüchern, farbige Tuschebilder und grautonige Tuschebilder neben farbigen Tuschebildem mit organischen Formen. Der Zufall ist oftmals die erste Stufe einer Anregung für die Arbeit an neuen Kompositionen. Die nachfolgende erste Ausdeutung von Spiralnebeln, Kreisen oder Streifen gewinnen unter seiner Hand als weiche organische Formen oder als strenge geometrische Muster die Strukturen, die sich bis hin zu den fertigen Arbeiten als gegensätzli che Möglichkeiten innerhalb seines bisherigen Werkes unterscheiden lassen. Beide verbindet dann aber die schwebende Durchsichtigkeit des von ihm benutzten Materials, denn die Tuschefarben wirken aufgrund ihrer Transparenz, je nachdem wie stark die Dichte der Pigmente gewählt wurde, mit einer ihnen eigenen Widerständigkeit auf das Auge.

Die subtile Poesie seiner Werke entsteht letztlich doch aus dem Gegenteil dessen, was wir gemeinhin mit der Vorstellung von Inspiration verbinden. Er gehört zu jenen Künstlern, die ein strenges Kalkül und eine peinlich genaue Ordnung für ihre Arbeit und um sich herum benötigen. Sorgfältiger, abgemessener Vorbereitung widmet er mindestens ebensoviel Zeit wie der anschließenden Ausführung. Kalkulierende Voraussicht und exakte Beherrschung der Materialien sind ebenso Teil seiner Arbeitsweise, wie eine ihm eigene zeitweilige Vorliebe für das Spiel mit mathematischen Berechnungen. In diesen gedanklichen Spielen mit Zahlen hält er eine Formulierungsmöglichkeit bereit, die jeglicher eiligen, scheinbar eindeutig klaren Folgen bis zur stimmungshaften Wirkungen seiner Kompositionen entgegenzustreben scheint. Dennoch entsteht diese Wirkung von unerwarteter Seite her vor den aufmerksamen Augen des Betrachters, dem Heimbach auch diesen Eindruck von seinen Kompositionen nachzugehen möglich macht. Darüber gibt er bereitwillig und mit hinterlistiger Freude Auskunft: Doch nicht die Verblüffung des Zuhörers ist sein Ziel, sondern er genießt die ganz offensichtliche und unvermeidliche Diskrepanz, die wohl viele empfinden, wenn sie angesichts der Ergebnisse seiner Arbeit mit seinen nüchtern-rational gefaßten Erläuterungen konfrontiert werden. Widersetzlich bleibt er mit seinen formal sehr einfachen Kompositionen nun auch gegenüber der technischen Vervielfältigung seiner Arbeiten, indem er Aufschlüsse für den aufmerksamen Betrachter in einer schmalen Randzone seiner Kompositionselemente bereithält. In ihnen lassen sich die Schichtungen der übereinandergelagerten Farben gleichsam Wort für Wort ablesen, die sich dann in vielen seiner "Bücher" wiederfinden lassen. Diese bestehen aus einer Folge von Transparentblättern, deren Durchsichtigkeit beim Durchblättern erlaubt, die Farbklänge der Blatt für Blatt geringfügig variierten Tuschefigur als eine Meditation über die Metamorphose ihrer Bestandteile zugleich vorwärts und rückwärts hin zu verfolgen und dabei ihr optisches Spiel zu entschlüsseln. Die Intensitätsstufen - u. a. in "Turbulente Episoden aus dem Leben eines Tuschetropfens", Vokalvariationen", "24 Stunden Buch" - von Farben oder Grauwerten liefern ebenso ein getreues Abbild der Unterscheidungsfähigkeit des betrachtenden Auges, wie sie durch die Blätter hindurch in die imaginäre Tiefe eines verschwimmenden Bildraumes den Blick gleiten lassen. Zwischen Widerständigkeit und Transparenz des Materials nutzt er eine Technik, die vielen von uns durch die neuerlich wieder beliebt gewordenen "Buntpapiere" bekannt ist, für Kompositionen, die, gelegentlich bis an die Grenzen des Figürlichen reichend, der Stilistik des Informel verpflichtet sind. Durch serielle Kombination der drei Grundfarben Rot, Gelb und Blau entstanden rhythmische Kompositionsfolgen, die ihre Wirkung aus genau gegeneinander abgestimmten Farbtonverschiebungen beziehen. Aus dem Umstand, daß die auf Schellackbasis hergestellten farbigen Tuschen im Wasser eigentümliche Fließbewegungen erzeugen, kommen die in den Farbfeldern wirksamen Verdichtungen und Aufhellungen der Töne zustande, deren detaillierte Gestalt sich für den Arbeitsprozeß im voraus nicht genau festlegen läßt. Hier sind von der Technik her die Grenzen für den Künstler festgelegt, bis wohin er gestaltend eingreifen kann. Hier ist noch immer Zufall am Werk. Diese technische Zufälligkeit führte Paul Heimbach zur systematischen Untersuchung der Eigenschaften seines Materials. Arbeitete er über längere Zeit mit willkürlicher Auswahl möglicher Tonabstufungen und - folgen, so dienten ihm seit 1981 beliebige Zahlenfolgen, z.B. die regelmäßig notierten Pegelstände des Rheins, als feste Orientierung für die folgenden Arbeiten. Darauf verweisen noch viele seiner Bildtitel. Dabei bleibt jeder Ausgangsfarbe eine Ziffer zugeordnet und jeder Farbüberlagerung eine weitere, die zugleich den Mischton und den Arbeitsschritt bezeichnet.

So gliedem sich Arbeitsschritte, die für die Herstellung der vielfach bearbeiteten Blätter erforderlich sind, nach den Erfordernissen des Materials. Schichtweise nachvollziehbar wird seine Verfahrensweise beim Durchblättern eines der Bücher, wenn durch eine Folge von Transparentblättern jeweils mehrere Tonstufen nacheinander sichtbar bleiben und weitere je nach Belieben dazu- oder hinweggenommen werden können; so kann man die erste Vorstellung tatsächlich selberüberwinden und schließlich den Anfang mit dem meist unerwarteten, überraschenden Ende vergleichen.

Nach längeren experimentellen Sequenzen, die er in diesen selbstgefertigten Büchern aus Transparentblättern zusammenfaßte und zugleich in immer komplexeren Tuschebildern umsetzte, wurde ihm klar, daß in der systematischen Schichtung von Grauund den Grundtönen und deren mehrfacher Überlagerung mathematisch vorgegebene Regeln erkennbar sind, die - konsequent befolgt - schließlich den Farbton des Anfangspunktes wieder erreichen lassen. Aus der Einsicht in diese möglichen Permutationen und der Notwendigkeit, frei mit diesen Regeln umzugehen, geriet ihm eine Analogie zur Musiktheorie John Cages ins Blickfeld. Hier fand er die entscheidende Aufforderung zur Freiheit im Umgang mit den selbstgesetzten Regeln, die aber auch als selbstgesetzte Scheuklappen sich bemerkbar machten. Um über diese gebundenen Vorstellungen hinauszugelangen und sich von den selbstgesetzten Regeln zu befreien, bedurfte es langer Arbeit mit jenen mathematisch-geometrischen Sequenzen. Die Musik Morton Feldmans, der - den Klang befreite", bestärkte ihn darin, seine künstlerische Technik als den Inhalt seiner Kunstwerke umso deutlicher zu begreifen. Von daher sind seine metaphorisch formulierten Titel zu verstehen. Darin spiegeln sich jene einfachen, begrifflich gefaßten Regeln einer ihm umsetzbaren Kombinatorik, die von da an seinen Serien immer wieder zugrundeliegen. Die für den Betrachter angesichts seiner Arbeiten unausweichlichen Assoziationen von instabilen Farbräumen und ambivalent schwebenden Gitterstrukturen, bis hin zu gelegentlich stimmungsgeladenen Landschaften, bleiben für ihn Nebenprodukte berechenbarer Farbsequenzen, ohne daß er diesen mit freigesetzten Betrachter-Phantasien Einhalt gebieten wollte. Darin sieht er schließlich eine Bestätigung der uralten Vorstellung von der zahlenbestimmten kosmischen Harmonie ebenso wie die der neuzeitlichen Erkenntnis von der immer nur teilweise berechenbaren Verknüpfung aller möglichen der uns zugänglichen Erscheinungen der Natur untereinander.

In den ausgeführten Arbeiten, die einer besinnlichen Betrachtung sich zunehmend mehr und mehr erschließen, trifft Heimbach aus der möglichen Menge denkbarer Variationsstufen eine beschränkte und dennoch kaum überschaubare Auswahl von diesen, um dem Betrachter auch die nicht fixierten Grenzen seiner Differenzierungsfähigkeit vor Augen zu führen. Die Auswahl ist zugleich so angeordnet, daß sich Ordnungsmuster zu ergeben scheinen, die indes nie vollständig ausgeschöpft werden und dadurch zugleich immer schon ein Ende vorwegzunehmen scheinen, dieses Ende aber letztlich für den phantasievollen Betrachter immer offen lassen.